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Der Hang zu Opfererzählungen

Über Dramatisierung und selektive Wahrnehmung in Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur zu Homosexuellen während der NS-Zeit.

In: Revue d'Allemagne et des Pays de langue allemande, 53 (2021) 2, S. 331–346.

 

 

Die Situation Homosexueller in der NS-Zeit wurde von der Geschichtswissenschaft über Jahrzehnte ignoriert. Die Aufarbeitung blieb deswegen lange Akteuren der Lesben- und Schwulenbewegung überlassen, die die NS-Zeit auch dafür instrumentalisierten, gegenwärtige politische Anliegen zu legitimieren. Dies leistete einem Geschichtsbild Vorschub, das von Opferzählungen dominiert war und den zeitgeschichtlichen Kontext ebenso ausblendete wie "unpassende" Quellen, die dem Opfernarrativ nicht entsprachen. Von dieser Form der selektiven Wahrnehmung ist die einschlägige Forschung, die sich inzwischen in den akademischen Bereich verlagert und professionalisiert hat, auch heute noch nicht ganz frei. Das Ergebnis ist ein in Teilen recht schiefes Geschichtsbild, das die Erinnerungskultur zunehmend bestimmt, dort aber auch für Konflikte sorgt.

The situation of homosexuals during the Nazi era was ignored by historians for decades. For a long time, the topic was left to actors in the lesbian and gay movement, who also instrumentalized the Nazi period to legitimize current political concerns. This fostered an image of history that was dominated by victim narratives and ignored the contemporary historical context as well as "inappropriate" sources that did not correspond to the victim narrative. Even today, the relevant research, which has since shifted to the academic sphere and become more professionalized, is not entirely free of this form of selective perception. The result is an image of history that is in part quite skewed and that increasingly determines the culture of remembrance, but also causes conflicts there.


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