taz Magazin Nr. 6684 vom 23.2.2002
Ussama Bin
Laden, Jörg Haider - alles verkappte Homosexuelle?
Zur langen Geschichte einer unseligen Diffamierungsstrategie
von AXEL KRÄMER
Eine wilde Verfolgungsjagd durch
Chicago. Vier uniformierte Neonazis geraten mit ihrem roten Kombi an der
Absperrung einer Baustelle ins Schleudern und stürzen schließlich
von einer Hochbrücke tief in den Abgrund. Sekunden vor dem tödlichen
Aufprall des Wagens wendet sich einer von ihnen an seinen Gruppenführer
und bekennt mit einem letzten beschwörenden Ausruf: "Ich habe
Sie immer geliebt!"
Wenn im Kino diese Szene aus dem schrägen Kultfilm "Blues Brothers" gezeigt wird, johlen die Fans und klopfen sich vor Vergnügen auf die Schenkel. Ein Nazi in Hakenkreuzmontur, der sich am Ende als Klemmschwuler entpuppt - dieses Bild scheint als Karikatur des martialischen Männlichkeitskults auch heute noch hervorragend zu funktionieren. Auch wenn es dem Geist der Political correctness zuwiderläuft. Und doch ist der Effekt nach wie vor publikumswirksam, besonders wenn damit Männerbünde aufs Korn genommen werden, die sich mit Homosexualität in ihren Reihen bekanntermaßen besonders schwer tun. Der österreichische Karikaturist Manfred Deix etwa zeichnete vor wenigen Jahren das ihm verhasste Militär als eine Horde apathischer Schwuler, die sich mit ausgefallenen Sexpraktiken gegenseitig zu stimulieren bemühen.
Natürlich darf man nicht übersehen, dass es sich sowohl im Fall der "Blues Brothers" als auch bei Deix um satirische Kunstgriffe handelt, die auch als ironische Brechung verstanden werden sollen. Doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Mehr noch in all jenen Fällen, in denen ein solcher Kurzschluss als ernst gemeinter Beitrag daherkommt: wie etwa in dem Versuch, autoritäre Männerbünde als eine Art homoerotische Verschwörung zu erklären.
Ein Beispiel aus jüngster Zeit sind Äußerungen von Margarete Mitscherlich. Im taz-Interview vom 24. Dezember behauptete die Psychoanalytikerin ohne jeden plausiblen Anhaltspunkt, der Al-Qaida-Führer Bin Laden sei ein "homoerotischer Narziss" und die ihn umgebende Männerwelt der fundamentalistischen Islamisten "natürlich stark homoerotisch geprägt". Zur Begründung ihrer Hypothese führt Mitscherlich die Frauenverachtung des Islam ins Feld - gerade so, als gäbe es zwischen Mann-männlichem Eros und der Unterdrückung von Frauen einen zwingenden ursächlichen Zusammenhang. Der reine Umstand, dass sich Männer zu Lasten von Frauen zu einem Machtbündnis zusammenschließen, lässt jedoch beileibe nicht auf ihre sexuelle Orientierung schließen - sei sie nun bewusst erlebt oder unterdrückt. Tatsächlich werden Schwule von radikalen Muslimen wie den Taliban mit derselben Unerbittlichkeit verfolgt wie all die Frauen, die sich gegen den Fundamentalismus zur Wehr setzen. Der Begriff der Homoerotik wird so als reißerisches Etikett missbraucht, um einen politischen Missstand anzuprangern.
Einen ähnlichen Knalleffekt bewirkte vor zwei Jahren Elfriede Jelinek, die sich eigentlich als Meinungsbildnerin einer linken Avantgarde versteht. Nach dem Schock über den österreichischen Rechtsruck nahm sie jedoch die Gelegenheit wahr, um die FPÖ in einer Art und Weise zu attackieren, die man eher Jelineks reaktionären Gegnern zugetraut hätte. Jörg Haider sei der "Führer eines homoerotischen Männerbunds", tönte Jelinek in der Berliner Morgenpost, und dabei arbeite er "bewusst mit homophilen Codes, natürlich ohne sich wirklich als homosexuell zu bekennen". Mit ihren damaligen Äußerungen vermittelte Jelinek geradewegs den Eindruck, als wäre die mutmaßliche Homosexualität in der FPÖ das eigentliche Problem - und nicht etwa die ganz reale Fremdenfeindlichkeit in der Partei oder die rückwärtsgewandte Frauenpolitik.
Freilich mag man Jelinek gerne abnehmen, dass sie gegenüber Homosexualität grundsätzlich kein Misstrauen hegt, und in der Zwischenzeit hat sie sich öffentlich für jede Form der rechtlichen Gleichstellung von Schwulen und Lesben ausgesprochen. Mit den Vermutungen über Haider und andere FPÖ- Mitglieder hatte sie offenbar darauf spekuliert, eine in weiten Teilen der Bevölkerung verbreitete Schwulenfeindlichkeit gegen die rechtsradikale Partei ausspielen zu können. Politisch erfolgreich war sie damit nicht. Stattdessen trug sie dazu bei, Homosexualität erneut einen anrüchigen Anstrich zu verleihen.
Kurze Zeit vor Jelineks Schnellschuss
war das Buch "Homo Hitler" des Psychologen
Manfred Koch-Hillebrecht erschienen, das einen kühnen Zusammenhang
zwischen dem Judenhass des NS-Führers und seiner angeblichen Homosexualität
herstellte - ohne einen einzigen Beweis zu liefern. Zunächst fand die
Publikation wenig Gehör, doch auf der Frankfurter Buchmesse im vergangenen
Oktober heizte der Bremer Historiker Lothar Machtan die Gerüchteküche
erneut an, als er unter großem Mediengetöse sein Werk "Hitlers
Geheimnis" vorstellte. Darin nimmt er die vermeintliche Homosexualität
des Diktators zum Anlass, die gesamte Politik der Nationalsozialisten neu
zu bewerten. Doch auch die Indizienkraft seiner Theorie stellte sich als
äußerst bescheiden heraus. So urteilte sein Kollege Hans Mommsen
in der Zeit, Machtan habe für seine Thesen ausschließlich "Andeutungen,
Denunziationen und Unterstellungen mit bemerkenswerter Akribie" ermittelt
- mehr nicht.
Allerdings enthält auch
Mommsens Kritik missverständliche Andeutungen, etwa die
beiläufige Erwähnung von "zeitgenössisch verbreiteten
homoerotischen Neigungen"
im Umfeld Adolf Hitlers. Eindeutig drückte sich ein Rezensent der Neuen
Zürcher
Zeitung am 7. 11. in einer Würdigung von Machtans Buch aus. Dort heißt
es, die
gesammelten Überlieferungen über die gemutmaßte Homosexualität
Hitlers sowie
eines großen Teils des NS-Führungskorps seien trotz unklarer
Beweislage glaubhaft und lieferten "Hinweise zu Verfassung und Charakteristik"
der gesamten NS-Bewegung, die zum Verständnis der Geschichte des Dritten
Reichs unbedingt erforderlich seien.
Damit ist erneut ein Mythos aus
der Versenkung aufgetaucht, der beinahe so alt
ist wie der Faschismus selbst und stets als Neuigkeit gepriesen wird: Homosexualität
als bestimmender Impuls des Nationalsozialismus, ja als Motiv für den
Zusammenhalt militanter Männerbünde im Allgemeinen. Der Publizist
Alexander Zinn hat in mehreren Veröffentlichungen nachgewiesen, dass
die Wurzeln dieser Idee bis in die frühen Dreißigerjahre zurückreichen
- als ein Großteil der linken Presse aus politischem Opportunismus
versuchte, den Nationalsozialismus mit Homosexualität in einen ursächlichen
Zusammenhang zu bringen.
Den Stein ins Rollen brachte einst die sozialdemokratische Parteizeitung Münchner Post mit einer Kampagne gegen Ernst Röhm. Die Homosexualität des SA-Stabschefs sollte durch das Schüren von Ressentiments politisch ausgeschlachtet werden. Allein die Schlagzeile "Warme Brüderschaft im Braunen Haus" im April 1931 brachte die Strategie der Serie unverhohlen auf den Punkt. Nur wenige Jahre später brandmarkten Exilzeitungen wie die in New York herausgegebene Neue Volks-Zeitung oder die Prager Neue Weltbühne eine ganze Reihe führender Nazis als Homosexuelle - ob diese nun tatsächlich schwul waren oder nicht. Auch dabei bediente man sich schwulenfeindlicher Klischees: der Zuschreibung negativ besetzter weiblicher Eigenschaften etwa oder der Unterstellung von Frauenfeindlichkeit. Doch vor allem sollte sich die Vorstellung durchsetzen, Homosexuelle neigten prinzipiell zur politisch-militärischen Verschwörung.
Die sozialdemokratische Exilzeitung
Deutsche Freiheit aus dem Saarland
verurteilte 1934 schließlich "alle Organisationen der NSDAP"
als "Brutstätten
der Homosexualität". Als im Zusammenhang mit dem so genannten
Röhm-Putsch
erstmals Berichte über die nationalsozialistische Verfolgung Homosexueller
ins
Ausland gelangten, nahm man von ihnen keine Kenntnis oder deutete die
Massenverhaftungen als den Versuch einer "Tarnung". So bemerkte
die Neue
Weltbühne dazu in einem Kommentar vom Dezember 1934: "Wenn Herr
Hitler alle
Parteifunktionäre verhaften und erschießen ließe, die für
männliche Schönheit
Verständnis haben, würden die Krematorien Deutschlands nicht ausreichen."
Entsetzt warnte Klaus Mann im
französischen Exil davor, "aus dem Homosexuellen
den Sündenbock zu machen - den Juden der Antifaschisten". Denn
Skepsis und
Abneigung gegen alles Homoerotische, so Mann, hätten "in den meisten
antifaschistischen und in fast allen sozialistischen Kreisen einen hohen
Grad
erreicht". Zwei Jahre später folgten Versuche, das von der Exilpresse
entworfene
Zerrbild des homosexuellen Nationalsozialisten wissenschaftlich zu fundieren.
Vor diesem politisch-manipulativen Hintergrund muss auch die sozialpsychologische
Studie Erich Fromms von 1936 gesehen werden, in der er den "autoritären
Mann" ganz allgemein als "homosexuellen Charakter" einstuft.
Damit war der Grundstein für ein Vorurteil gelegt, das fortan nicht
nur auf das NS-Regime, sondern generell auf autoritäre Männerbünde
gemünzt wurde.
Bertolt Brecht etwa artikulierte in einem seiner Arbeitsjournale die eigentümliche Vermutung, die Armee müsse den Homosexuellen doch Spaß bereiten - eine Vorstellung, die auch heute noch just in jenen Kreisen verbreitet ist, die zu Krieg und Militär ein betont distanziertes Verhältnis pflegen. Zuletzt kam das in den Homosexuellen Gedanken" der Schriftstellerin Sibylle Berg zum Ausdruck, die sich am 23. November im Kriegstagebuch der taz von "Herrn Laden, Herrn Massud und Herrn Omar" an schwule Schauspieler erinnert fühlte und von "erregten Männern" fantasierte, die "in fast verzückter Art von ihren Führern sprechen" und "eine ausgeprägte Abneigung gegen Frauen" hätten.
Solche Visionen haben mit schwuler Lebenswirklichkeit nichts zu tun. Sie gehen an der Tatsache vorbei, dass die meisten Schwulen mit Frauen ein vielschichtiges und unverkrampftes Verhältnis verbindet. Ebenso wenig spiegeln sie den militärischen Alltag: Für schwule Soldaten war die Realität in den Kasernen noch nie ein Eldorado. Selbst in einer demokratisierten Armee wie der Bundeswehr galt für sie bis vor etwa einem Jahr noch ein generelles Berufsverbot. Und nach wie vor ist Mobbing beim Bund ein großes Problem - so wird offen schwulen Soldaten häufig unterstellt, jeden Geschlechtsgenossen als Objekt der Begierde zu verfolgen. Da kann auch der offizielle Leitfaden zum "Umgang mit Sexualität" kaum Abhilfe schaffen. In der Enge und Abgeschlossenheit streng hierarchischer Männerbünde ist es ein gängiges Phänomen, die eigene männliche Identität von allem, was auch nur den Hauch eines homosexuellen Anscheins erwecken könnte, auf Teufel komm raus abzugrenzen.
Zur Zeit des Dritten Reichs nahm
die Homophobie der Faschismusgegner bisweilen
selbst faschistische Züge an. Sie kulminierte in einem geflügelten
Wort, das sowohl von Maxim Gorki als auch von Wilhelm Reich aufgegriffen
und ohne jedes Zeichen einer Distanzierung verbreitet wurde: "Rottet
die Homosexuellen aus, und der Faschismus ist verschwunden!"
So aggressiv wollen sich die
linken Intellektuellen, die heute den unseligen Homo-Vorwurf wieder aufwärmen,
natürlich nicht mehr geben. Um nicht diejenigen
Schwulen zu treffen, die sich offen bekennen, verstricken sie sich allerdings
in neue Widersprüche. In einem Beitrag für Jungle World erkannte
etwa Manfred Hermes in Jelineks Äußerungen eine Strategie, die
"das Geheime" gegen "das Offene" ausspielt. "In
Zeiten einer gesellschaftlich halbwegs anerkannten Homosexualität",
so Hermes, "wird daraus fast ein doppelter Vorwurf: der der Homosexualität
und der, nicht dazu stehen zu wollen." Aus letzterem wird häufig
noch ein dritter Vorwurf abgeleitet: der der Homophobie.
Dass Homophobie in autoritären Männerbünden stärker zutage tritt als anderswo, mag viele Gründe haben. Dass sich nun ausgerechnet in ihr selbst eine latente Form der Homosexualität spiegele, wie einige Psychoanalytiker und Soziologen andeuten, taugt nicht zum alles erklärenden Muster. Es weckt nicht nur zwiespältige Gefühle, sondern es wirkt auch beliebig, wenn etwa der Soziologe Nicolaus Sombart, ohne mit der Wimper zu zucken, den manischen Schwulenhass der Nazis als Indiz für deren "verdrängte Homosexualität" wertet. Das nazistische Deutschland - ein Volk verklemmter Homos? Solche Pathologisierung macht es sich zu leicht. Und beruht auf einem notorischen Missverständnis. Sie vermittelt, es sei die Homosexualität, die zu pathologischem Verhalten führe - und nicht etwa die Angst vor ihr.
AXEL KRÄMER, 35, lebt als freier Autor in Berlin.