Potsdamer Neueste Nachrichten, 24.3.1996:

BAM BAM

Von Alexander Zinn

"In der Rangliste der Geistlosigkeit von Jugend ist den Tekkno-'Kids' der Spitzenplatz des jugendlichen Schwachsinns sicher". Das meint zumindest der Berliner Soziologe Eckart Britsch. Wer den Weisheiten vergeistigter Wissenschaftler nicht über den Weg traut, sollte eine Tekkno-Party besuchen. Am Sonnabend war Gelegenheit dazu. In der Potsdamer Brotfabrik stieg die Fete "BAM BAM IV" - präsentiert von den Potsdamer Neuesten Nachrichten.

Die Autokennzeichen verraten es. Sie kommen aus ganz Brandenburg. Ob in Nauen, Schwedt oder Oder/Spree: die Kids haben in vermutlich nervenaufreibenden Diskussionen Papas Auto erobert und mit Freunden aufgefüllt. Auf den Tankstellen im Potsdamer Industriegebiet Am Stern sammeln sie sich am frühen abend. Schlangen vor den Nachtschaltern, um noch ein letztes preiswertes Bier zu erstehen. Und dann los!

Zwischen Baustellenabsperrungen bahnt sich der motorisierte Tekkno-Treck seinen Weg auf eine unbeleuchtete Industriestraße. Aus den Autos dröhnen gnadenlose "beats". Bam, bam, bam. Nach hundert Metern schließlich: Autos, so weit das Auge reicht. Es gibt kein vor und zurück, an der Seite aber bietet sich ein Plätzchen auf der noch winterlich-braunen Wiese. Geschafft! Nun immer der Meute nach zur nächsten Schlange. Diese hat sich vor der Abendkasse gebildet. Mit stoischer Ruhe trotzt das Tekkno-Kind dem frischen Frühlingsregen. Streckenweise immerhin bietet der Sonnenschirm einer bekannten ostdeutschen Zigarettenmarke Schutz.

Wenn man den breitschultrigen Türsteher mit dem wichtigen Draht am Ohr erreicht hat, ist man schon fast drinnen. Sorgsam betastet er einen, auf der Suche nach Waffen und ähnlichen unerlaubten Gegenständen. Dann schnell den laut BAM BAM-Info "fairen Eintrittspreis" von 28 Mark auf den Kassentisch gelegt, und das Ziel des abends ist erreicht. Ein neonbeleuchteter Gang, durch den bleiche Gestalten schweben. Entweder nach links in Richtung Toilette, oder nach rechts in Richtung Musik.

Der Musik folgend gelangt man in eine weißgekachelte Industriehalle, zwanzig Meter breit und bestimmt hundert Meter lang. Der vordere Teil der Halle ist eingerichtet mit den bekannten Sonnenschirmen, Bauzäunen und mobilen Verkaufsstellen für Getränke, Nudelgerichte und T-Shirts. Dazwischen hunderte von Tekkno-Jüngern, die entweder zwanzig Meter für die Garderobe anstehen, oder an den nicht minder bevölkerten Ausschankstellen drängeln.

Läßt man sich von der Menge in den mittleren Hallenabschnitt tragen, so gelangt man buchstäblich ins Zentrum der ganzen Veranstaltung. Überall "raved" es. Dank meterhoher Beschallungsanlagen kann sich dem Rhythmus der beats keiner mehr entziehen. Wie batteriebetriebene Häschen hoppeln die Kids von einer Ecke des Dancefloors in die andere. Wenn es der beat gebietet, lassen sie ihre Arme blitzartig in die Höhe schnellen. Ansonsten schieben sie die Hände auf Augenhöhe vor sich her, als wollten sie in Kristallkugeln lesen.

Die Lightshow tut ein übriges. Laser zeichnen geometrische Figuren in den Raum. Und in ihrem Licht erst läßt sich das "outfit" der Besucher angemessen würdigen. Die "girlies" tragen kurze Miniröckchen und schwere Stiefel. Wichtige Accessoires sind wild blinkende Fahradleuchten, winzige silberne Rucksäckchen und viele der Dinge mehr, die die Individualität betonen. Eine trägt ein tellergroßes neonrotes Plüschherz auf der Brust. Die Jungs dagegen bevorzugen weite Trainingshosen und orangefarbene Signalwesten der Straßenreinigung. Wer vor einem Bodypiercing noch zurückschreckt, zieht sich den Ring kurzerhand durch den Schirm seines Basecaps. Die Coolsten tragen Sonnenbrillen und beben direkt vor der Lautsprecherwand.

Ergibt man sich den fordernden beats und läßt seinen unweigerlich zuckenden Körper in der ravenden Masse aufgehen, so landet man früher oder später im hintersten Hallenabschnitt. Hier ist die "stage" aufgebaut, und auf ihr thront der Altar der Tekkno-Gemeinde, die Musikanlage. Dahinter, in das fahle Licht weißer Laserkegel getaucht, der musikalische Hohepriester. Sven U. K. nennt er sich. Für eine Stunde kontrolliert er heute abend die beats, die die Masse kontrollieren. Ab und zu reckt er den rechten Arm in die Höhe und wiegt den Oberkörper im Rhythmus. Ansonsten strenge Geschäftigkeit.

Über neun Stunden machen elf DJ's Musik, und die Menge raved und raved und raved. Die Menge? Nun, zunehmend fordert der Körper seinen Tribut. Auf dem kalten Fliesenboden des vorderen Hallenteils lassen sich die Kids nieder, stürzen Cola herunter oder saugen an langen rötlichen Spaghettis. Einige scheinen einzuschlafen, andere treibt es wieder zurück auf die Tanzfläche. Jugendlicher Schwachsinn? "Jede Jugend ist die dümmste, die es je gegeben hat", sagte Ingeborg Bachmann dazu.