Allgemeine Jüdische Wochenzeitung 5/97 vom 16.03.1997:

"Und sei es auf einem jüdischen Friedhof"

Die Grabstätte Moses Mendelssohns sorgt für Streit

Von Alexander Zinn

Laster rattern durch die engen Straßen. Kräne kreisen über niedrigen Mietshäusern. Im Berliner Scheunenviertel, so scheint es, wird an jeder Ecke gebaut. Ein Grundstück allerdings blieb bislang vom Bauboom im alten jüdischen Viertel ausgenommen. Auf dem Grundstück Oranienburger Straße 9/10, an der Ecke zur Großen Hamburger Straße, türmen sich zwar Bretter und Steine. Ein Baubeginn jedoch ist nicht in Sicht.

Wie so oft ist es auch hier ein Streit mit den Nachbarn, der die Bebauung des Grundstücks verhindert. Beim angrenzenden Grundstück handelt es sich um den ältesten jüdischen Friedhof Berlins. 1789 wurde hier der berühmte Philosoph Moses Mendelssohn beerdigt. Bis zur Schließung 1827 bestattete man etwa 12.000 Tote. Im "Dritten Reich" wurde der Friedhof mehrfach geschändet. 1943 ebneten ihn die Nationalsozialisten ein. Später wurden Splittergräben durch das Gelände gezogen.

Um eine Grundbucheintragung aus dem Jahre 1862 ist nun der Streit entbrannt. Diese besagt, daß auf dem Eckgrundstück keine Gebäude mit Fenstern zum Friedhof errichtet werden dürfen. Eine Regelung, die seltsam anmutet. Denn das damalige Haus Oranienburger Straße 9/10 hatte ebenso wie die Nachbarhäuser Fenster zum Friedhof. Mit der Baulast aber läßt sich das Grundstück nicht verkaufen. Und genau dies will die Erbengemeinschaft.

Da bislang ungeklärt ist, wem der Friedhof gehört, wandten sich die Erben deshalb an die drei möglichen zukünftigen Eigentümer, die Jewish Claims Conference (JCC), den Zentralrat der Juden in Deutschland und die Jüdische Gemeinde zu Berlin. Während jedoch Claims Conference und Zentralrat im Oktober 1993 einer Löschung der Baulast zustimmten, legte sich die Berliner Gemeinde quer. Zunächst forderte sie als Gegenleistung 100.000 Mark - als Beitrag zur Rekonstruktion des Friedhofes, wie Jerzy Kanal, der Vorsitzende der Gemeinde, betont. Da es hier aber nicht nur um Geld gehe, so Kanal weiter, habe man auch eine neue Grundbucheintragung verlangt, mit der die Würde des Friedhofes gesichert werden solle. So müsse zum Beispiel sichergestellt sein, daß sich keine nackten Menschen an den Fenstern zeigten und keine laute Musik auf den Friedhof schalle. Darauf jedoch habe sich die Erbengemeinschaft nicht einlassen wollen, so Kanal.

Das sieht Horst Fischer, der Rechtsanwalt der Erbengemeinschaft, anders. Die 100.000 Mark hätte man sowieso zahlen wollen, nur gegen die neuerliche Grundbucheintragung habe der avisierte Käufer, die Bauwert GmbH, zunächst rechtliche Bedenken gehabt. Als diese die Bedingungen dann jedoch akzeptierte, so Fischer, habe die Jüdische Gemeinde plötzlich überhaupt nicht mehr gewollt. Dies könnte allerdings noch andere Gründe gehabt haben. Herr Schepers, der auf Seiten der Bauwert GmbH mit der Sache befaßt war, meint jedenfalls, die Erbengemeinschaft habe sich gegenüber der Jüdischen Gemeinde "erheblich im Ton vergriffen".

Daß die Erbengemeinschaft tatsächlich nicht immer sehr sensibel agiert, hat die weitere Entwicklung gezeigt. Polternd verkündete man inzwischen, was intern schon lange bekannt war und, so Horst Fischer, "totgeschwiegen" wurde. Demnach wurden auf dem Jüdischen Friedhof Anfang Mai 1945 gut 2.500 Kriegstote in Massengräbern beigesetzt. Unter ihnen waren auch HJ-, Volkssturm-, SA- und sogar SS-Angehörige. Das habe man der Jüdischen Gemeinde schon vor Jahren mitgeteilt, bestätigt Dr. Hans Georg Büchner, beim Senator für Stadtentwicklung zuständig für Berlins Friedhöfe. Inzwischen aufgekommene Gerüchte, auch Magda Goebbels und ihre acht Kinder seien dort bestattet, verweist Büchner jedoch ins Reich der Spekulation. Auf den vorhandenen Bestattungslisten fände sich kein entsprechender Hinweis.

Rechtsanwalt Fischer jedoch geht es nicht um die Enthüllung an sich. Er vertritt mittlerweile sogar den Nachfahren eines dort beerdigten Volkssturmmannes, um die Aufstellung eines Grabsteines gerichtlich zu erzwingen. Was die Erbengemeinschaft mit derlei Koalitionen erreichen will, räumt Fischer freimütig ein. Wenn dort auch andere Tote lägen, so seine Logik, handele es sich eben um keinen jüdischen Friedhof mehr. Und damit, so Fischer, entbehre auch die Baulast ihrer Grundlage.

Das freilich sieht Jerzy Kanal anders. Nach jüdischem Verständnis sei dort, wo einmal Juden bestattet wurden, auf ewig ein jüdischer Friedhof. Daran könnten weder Einebung noch Massengräber etwas ändern. Mit dem Senat sei man schon seit Jahren im Gespräch darüber, was mit dem Friedhof geschehen solle. So sei auch eine Evakuierung der Massengräber erwogen worden. Da eine Unterscheidung der Skelette aber wohl unmöglich sei, habe man sich darauf geeinigt, die Gräber unangetastet zu lassen. In jedem Fall jedoch müsse der Jüdische Friedhof rekonstruiert werden. Und Gedenktafeln für die Kriegstoten, die das Gräbergesetz vorschreibt, solle man außerhalb des Geländes aufstellen.

Schützenhilfe bekommt Jerzy Kanal von Rabbiner Stein. Historisch betrachtet, so Stein, "ist das ein jüdischer Friedhof". Wie man mit dem Friedhof umgehe, müsse allerdings gut überlegt werden. Wenn es sich bei den Kriegstoten um Täter handele, so Stein, dann müsse ihre Umbettung in Betracht gezogen werden. Grundsätzlich jedoch gelte nach jüdischem Glauben, daß jeder Tote, der unbeerdigt liegt, beerdigt werden müsse - und sei es auf einem jüdischen Friedhof.

"Und sei es auf einem jüdischen Friedhof"

Laster rattern durch die engen Straßen. Kräne kreisen über niedrigen Mietshäusern. Im Berliner Scheunenviertel, so scheint es, wird an jeder Ecke gebaut. Ein Grundstück allerdings blieb bislang vom Bauboom im alten jüdischen Viertel ausgenommen. Auf dem Grundstück Oranienburger Straße 9/10, an der Ecke zur Großen Hamburger Straße, türmen sich zwar Bretter und Steine. Ein Baubeginn jedoch ist nicht in Sicht.

Wie so oft ist es auch hier ein Streit mit den Nachbarn, der die Bebauung des Grundstücks verhindert. Beim angrenzenden Grundstück handelt es sich um den ältesten jüdischen Friedhof Berlins. 1789 wurde hier der berühmte Philosoph Moses Mendelssohn beerdigt. Bis zur Schließung 1827 bestattete man etwa 12.000 Tote. Im "Dritten Reich" wurde der Friedhof mehrfach geschändet. 1943 ebneten ihn die Nationalsozialisten ein. Später wurden Splittergräben durch das Gelände gezogen.

Um eine Grundbucheintragung aus dem Jahre 1862 ist nun der Streit entbrannt. Diese besagt, daß auf dem Eckgrundstück keine Gebäude mit Fenstern zum Friedhof errichtet werden dürfen. Eine Regelung, die seltsam anmutet. Denn das damalige Haus Oranienburger Straße 9/10 hatte ebenso wie die Nachbarhäuser Fenster zum Friedhof. Mit der Baulast aber läßt sich das Grundstück nicht verkaufen. Und genau dies will die Erbengemeinschaft.

Da bislang ungeklärt ist, wem der Friedhof gehört, wandten sich die Erben deshalb an die drei möglichen zukünftigen Eigentümer, die Jewish Claims Conference (JCC), den Zentralrat der Juden in Deutschland und die Jüdische Gemeinde zu Berlin. Während jedoch Claims Conference und Zentralrat im Oktober 1993 einer Löschung der Baulast zustimmten, legte sich die Berliner Gemeinde quer. Zunächst forderte sie als Gegenleistung 100.000 Mark - als Beitrag zur Rekonstruktion des Friedhofes, wie Jerzy Kanal, der Vorsitzende der Gemeinde, betont. Da es hier aber nicht nur um Geld gehe, so Kanal weiter, habe man auch eine neue Grundbucheintragung verlangt, mit der die Würde des Friedhofes gesichert werden solle. So müsse zum Beispiel sichergestellt sein, daß sich keine nackten Menschen an den Fenstern zeigten und keine laute Musik auf den Friedhof schalle. Darauf jedoch habe sich die Erbengemeinschaft nicht einlassen wollen, so Kanal.

Das sieht Horst Fischer, der Rechtsanwalt der Erbengemeinschaft, anders. Die 100.000 Mark hätte man sowieso zahlen wollen, nur gegen die neuerliche Grundbucheintragung habe der avisierte Käufer, die Bauwert GmbH, zunächst rechtliche Bedenken gehabt. Als diese die Bedingungen dann jedoch akzeptierte, so Fischer, habe die Jüdische Gemeinde plötzlich überhaupt nicht mehr gewollt. Dies könnte allerdings noch andere Gründe gehabt haben. Herr Schepers, der auf Seiten der Bauwert GmbH mit der Sache befaßt war, meint jedenfalls, die Erbengemeinschaft habe sich gegenüber der Jüdischen Gemeinde "erheblich im Ton vergriffen".

Daß die Erbengemeinschaft tatsächlich nicht immer sehr sensibel agiert, hat die weitere Entwicklung gezeigt. Polternd verkündete man inzwischen, was intern schon lange bekannt war und, so Horst Fischer, "totgeschwiegen" wurde. Demnach wurden auf dem Jüdischen Friedhof Anfang Mai 1945 gut 2.500 Kriegstote in Massengräbern beigesetzt. Unter ihnen waren auch HJ-, Volkssturm-, SA- und sogar SS-Angehörige. Das habe man der Jüdischen Gemeinde schon vor Jahren mitgeteilt, bestätigt Dr. Hans Georg Büchner, beim Senator für Stadtentwicklung zuständig für Berlins Friedhöfe. Inzwischen aufgekommene Gerüchte, auch Magda Goebbels und ihre acht Kinder seien dort bestattet, verweist Büchner jedoch ins Reich der Spekulation. Auf den vorhandenen Bestattungslisten fände sich kein entsprechender Hinweis.

Rechtsanwalt Fischer jedoch geht es nicht um die Enthüllung an sich. Er vertritt mittlerweile sogar den Nachfahren eines dort beerdigten Volkssturmmannes, um die Aufstellung eines Grabsteines gerichtlich zu erzwingen. Was die Erbengemeinschaft mit derlei Koalitionen erreichen will, räumt Fischer freimütig ein. Wenn dort auch andere Tote lägen, so seine Logik, handele es sich eben um keinen jüdischen Friedhof mehr. Und damit, so Fischer, entbehre auch die Baulast ihrer Grundlage.

Das freilich sieht Jerzy Kanal anders. Nach jüdischem Verständnis sei dort, wo einmal Juden bestattet wurden, auf ewig ein jüdischer Friedhof. Daran könnten weder Einebung noch Massengräber etwas ändern. Mit dem Senat sei man schon seit Jahren im Gespräch darüber, was mit dem Friedhof geschehen solle. So sei auch eine Evakuierung der Massengräber erwogen worden. Da eine Unterscheidung der Skelette aber wohl unmöglich sei, habe man sich darauf geeinigt, die Gräber unangetastet zu lassen. In jedem Fall jedoch müsse der Jüdische Friedhof rekonstruiert werden. Und Gedenktafeln für die Kriegstoten, die das Gräbergesetz vorschreibt, solle man außerhalb des Geländes aufstellen.

Schützenhilfe bekommt Jerzy Kanal von Rabbiner Stein. Historisch betrachtet, so Stein, "ist das ein jüdischer Friedhof". Wie man mit dem Friedhof umgehe, müsse allerdings gut überlegt werden. Wenn es sich bei den Kriegstoten um Täter handele, so Stein, dann müsse ihre Umbettung in Betracht gezogen werden. Grundsätzlich jedoch gelte nach jüdischem Glauben, daß jeder Tote, der unbeerdigt liegt, beerdigt werden müsse - und sei es auf einem jüdischen Friedhof.