Graswurzelrevolution, Nr. 210, 1996.

Die Homophobie der Linken

Schwule Emanzipation und linke Vorurteile

Von Andreas Speck

"Die Linke und das Laster", so der Titel eines Sammelbandes zu schwuler Emanzipation und den Vorurteilen der Linken... Das Bild, das sich durch die Beiträge zieht, ist das eines schwierigen Verhältnisses "der Linken" zum Laster, einer allenfalls taktischen und sehr zaghaften Unterstützung schwuler Emanzipation durch die "Linke", bei gleichzeitiger Nichtbefassung mit den eigenen anti-homosexuellen Vorurteilen, die immer wieder ausgepackt werden, wenn sie sich gegen die/den politische/n GegnerIn instrumentalisieren lassen.

"Die Bewegung der Homosexuellen"

Spannend zu lesen ist der Beitrag von Alexander Zinn über "die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten im antifaschistischen Exil". Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Diskurs über Homosexualität von theoretischen Entwürfen beeinflußt, die Männlichkeitsideale, Führerkult, Männerbünde und die patriarchale Gesellschaftsordnung als durch Homoerotik und Homosexualität getragen enttarnten. (S. 38) Die Homosexualität Ernst Röhms gab dem neue Nahrung, und seit 1933 wurde durch die deutschsprachige Exilpresse Homosexualität in einen wesenhaften Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus gebracht. Durch die Rückbesinnung auf linke Faschismusanalysen der 30er Jahre in Folge der StudentInnenbewegung von 1968 kam es in der BRD zu einem partiellen Wiederaufleben dieses Stereotyps, das sich selbst bei Klaus Theweleit wiederfindet, wenn er behauptet, "Männerbünde" neigten "zur Ausbildung 'homosexueller Praktiken', die, selber aggressiver Art, zum Umklappen in jede andere Form der Aggressivität fähig" seien (Theweleit 1987, S. 332).

Dem Stereotyp des homosexuellen Nationalsozialisten bediente sich die Exil-KPD in ihrem im August 1933 erschienenen "Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror", in dem der 24jährige van der Lubbe, der den Brand legte, zum Lustknaben erklärt wurde, der ein Verhältnis mit Röhm gehabt hätte. Bewußt wurden hier Fakten manipuliert und alle Klischees eingesetzt, um zu dem gewünschten Ergebnis zu gelangen (S. 44). In dem Braunbuch wurde erstmals eine wesenhafte Verbindung zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus suggeriert. Dieser Zusammenhang sollte in der Exilpresse zukünftig bewiesen werden. Ausgiebig wurde nun über die homosexuelle Veranlagung von Nationalsozialisten berichtet, um so diesen Zusammenhang empirisch zu bestätigen. Dieser empirischen Bestätigung folgte schließlich die theoretische Begründung. Dem unterstellten Zusammenhang von Nationalsozialismus und Homosexualität wurde noch eine Verbindung zum Sadismus hinzugefügt, und daraus ein Garant für den Fortbestand der faschistischen Gesellschaftsordnung konstruiert, so z.B. der Sexualtheoretiker Wilhelm Reich. (S. 49)

Auch die ersten Meldungen über die Verfolgung von Homosexuellen durch die Nazis taten diesem Stereotyp keinen Abbruch. Zunächst weigerte sich die Exilpresse schlicht, diese Tatsache wahrzunehmen, und erklärte sie zu inneren Streitigkeiten der Nazis. Nur wenige Exilierte wehrten sich dagegen. Lediglich Klaus Mann, selbst homosexuell, wagte Protest anzumelden: "Man ist im Begriffe, aus 'dem' Homosexuellen den Sündenbock zu machen - 'den' Juden der Antifascisten. Das ist abscheulich. Mit ein paar Banditen die erotische Veranlagung gemeinsam zu haben, macht noch nicht zum Banditen." (S. 73)

In seinem Resümee stellt Zinn fest, daß die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten natürlich nicht empirischer Grundlagen entbehrt - es gab homosexuelle Nazis. Doch Grundlage des Stereotyps des homosexuellen Nazis "war hingegen nicht die Erkenntnis über die politischen Orientierungen der Homosexuellen in Deutschland. ... Die homosexuelle Veranlagung Röhms und vermutlich etwa vier weiterer Nationalsozialisten, die in deutschen Exilperiodika der Homosexualität beschuldigt wurden, der Glaube an Zusammenhänge zwischen Männerbund und Homosexualität, tradierte Homosexuellenstereotype und nicht zuletzt die latente Antihomosexualität der Arbeiterparteien KPD und SPD stellten den 'realen Kern' dar, der den Entstehungsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes evozierte."(S. 79)